Über Budapest von Alex Mátyás
In den 50-er und 60-er Jahren des 19. Jahrhunderts erleidet Österreich große außenpolitische Niederlagen. Es wird zur Aufgabe eines einheitlichen Gesamtreiches gezwungen und für den Kaiser wird die Aussöhnung mit Ungarn wünschenswert. Im Jahre 1867 entsteht die dualistische K. u. K. Monarchie und das verfassungsmäßige Leben der Magyaren wird zurückgestellt. Die politische Stabilität bringt riesigen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich. Durch das Einströmen des Kapitals in die Region, die Erweiterung des Warenverkehrs und die Industrialisierung wächst die Bautätigkeit besonders in Pest sozusagen zu einem Schöpfungsfieber an. 1870 wird nach dem Muster des Londoner Metropolitan Board of Works ein neues Organ für Städtebau gegründet. Unter der Ägide von diesem Hauptstädtischen Rat für Öffentliche Arbeiten entstehen gewaltige Pläne für die Umgestaltung von Budapest zu einer Metropole. Als Vorbild für die Stadt, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts vom nüchternen Klassizismus, danach jedoch von der verspielten, maurisch und sarazenisch angehauchten Romantik geprägt war, dienen der Hausmannsche Plan von Paris, vor allem aber die Ringstraßenregulierung in Wien. Im November 1873 wird aus der Fusion von Buda, Altbuda und Pest die neue vereinigte Hauptstadt mit zehn Verwaltungsbezirken gebildet.
Damit die Architekten schnell und viel bauen können, entwickeln sie typologische Vorbilder. Sie greifen aus dieser Überlegung immer mehr zum Formenschatz vergangener Zeitalter. Dieser Stilpluralismus ist auch in Budapest Grundsatz des Eklektizismus, wobei in seiner Frühphase bis ca. 1885 überwiegend unter Verwendung von italienischen Renaissanceformen gebaut wird und zwar qualitativ hervorragend. Die bemerkenswerte Solidität der Ausführungen wird auch in der zeitgenössischen Deutschen Bauzeitung lobgepriesen: „Ein Berliner oder Leipziger Fachmann würde die saubere Arbeit, die hier geliefert wird, nicht ohne Staunen sehen.“ Die kurze Dominanz dieser verhältnismäßig ruhigen Stilperiode wird vom Späteklektizismus abgelöst, der von extrem geschäftlichem Wetteifer gekennzeichnet ist. Diese Tatsache beeinflusst notwendigerweise Art und Qualität der Bauwerke. Die ständig wachsende Massenproduktion verdrängt die edlen Materialien, an ihre Stelle treten Gips, Gusseisen, verzinkte Blechverzierungen und fabrikmäßig hergestellte Verkleidungsplatten. Wird jedoch die eklektische Architektur nicht allein von ihrem Gewand her beurteilt, so muss festgestellt werden, dass sie ihre neuen Aufgaben meistens geschickt lösen konnte. Durch die Isolierung, die Wasserleitung und die Kanalisierung werden die technischen Voraussetzungen der modernen Wohnkultur gelegt. Die Infrastruktur der zukünftigen Weltstadt wird in dieser Zeit ausgebaut. Es entstehen Donaubrücken, Bahnhöfe, Markthallen, und in den 80-er Jahren beginnt man mit dem Ausbau des Telefonnetzes. 1896, gleichzeitig mit der zum Anlass des tausendjährigen Jubiläums der Landeseroberung organisierten Ausstellung wird die erste Untergrundbahn des europäischen Festlandes eröffnet. Die 3690 m lange Strecke wird innerhalb von 16 Monaten ausgebaut. Die Stadt hat damals schon ein 45 km langes elektrisches Straßenbahnnetz im Conduit-System nach Siemens & Halske. Wie überall im europäischen Städtebau dieser Periode, melden sich auch hierzulande antihistorische Bestrebungen. Viele wollen die Entrümpelung der Kunst und wünschen eine neue Bauweise, die den Erfordernissen der modernen Zeit entsprechen sollte. In Ungarn ist Sezession die allgemein übliche Bezeichnung für diese Stilbewegung. In ihrer Frühphase wendet sie mit Vorliebe die Produkte des Kunstgewerbes als Fassadenverkleidung an, deren Farbeffekt in der damaligen Architektur beispiellos ist.
Um 1900 besteht Budapest zu 44% aus Bauten, die im letzten Drittel des Jahrhunderts entstanden. Die zur kulturellen und ökonomischen Hochburg gewordene Stadt dient als Schmelztiegel der Magyarisierung der Völker des Karpatenbeckens und wird zu dieser Zeit schon von 860 000 Menschen bewohnt.
(Aus dem Artikel Die Stadtentwicklung von Budapest, PANNONIA Magazin für Internationale Zusammenarbeit, XXI. Jahrgang 3/1993)